Es ist nun schon Tage her, dass ich Uganda wieder verlassen habe. Und ich war das erste Mal für wenige Tage dort. Sicher ist mein Blick schon jetzt verklärt durch Erinnerungen und das, was vergessen ist, sind die Erlebnisse nicht mehr so unmittelbar und deutlich, sind die Einfälle und Gefühle von Momenten unwiederbringlich vergangen. Doch möchte ich mich nun erinnern und aufschreiben, was mir noch im Gedächtnis ist und mich demnach beeindruckt zu haben scheint.
Marc Stefaniak, 2014
Bericht als pdf-Datei im Browser öffnenDie Reise nach Kampala ist eine Anstrengung. Der Flug führt von Düsseldorf über Istanbul und Kigali nach Entebbe. Die Maschinen sind nicht so neu wie ich sie in Erinnerung habe. An Board sind die Plätze belegt, neben einigen Touristen sind viele junge Menschen aus Europa und den USA unterwegs, um Projekte zu besuchen – das verraten zumeist entweder ihre bedruckten Shirts oder sie erzählen es, meist ohne ein Zögern. Ich finde mich die meiste Flugzeit allerdings neben großen, sportlichen Jungs aus Libyen wieder: Die lybische Fußballnationalmannschaft ist auf dem Weg nach Ruanda und dabei in guter Stimmung.
Mittlerweile ist es nach Mitternacht, das Flugzeug hat den Äquator durchflogen und landet nun in Kigali/Ruanda. Die meisten Menschen steigen hier aus, nur wenige steigen ein, um über Entebbe nach Istanbul zu reisen. Genaugenommen wird die Reise ab jetzt anstrengend: Es sind noch einmal etwa drei Stunden, bis das Flugzeug in Entebbe, der ehemaligen Hauptstadt der schrecklichen und Europa beschämenden Kolonialzeit, im Süden Ugandas landet.
Der nun folgende Moment ist für mich immer etwas Besonderes und Aufregendes: Der Schritt aus dem Flugzeug, etwas Neuem, Unbekanntem entgegen. Auf meine Sinne versuche ich dann die größte nur mögliche Aufmerksamkeit zu verwenden: Der frisch-erdige, mir angenehme Geruch erinnert mich an ein Land, in dem ich vor acht Jahren das allererste Mal den afrikanischen Kontinent betrat.
Ich versuche möglichst schnell, ein Einreiseformular zu finden und auszufüllen, um nach langer Reise in später Nacht nicht in einer langen Schlange vor der gewohnt beschwerlichen Pass- und Dokumentenkontrolle warten zu müssen. Nun stelle ich begeistert fest, seit langem nicht so unkompliziert eingereist und dabei derart freundlich begrüßt worden zu sein. Dadurch beschwingt suche ich das Gepäckband und warte übernächtigt-angespannt auf meine Tasche. Vor dem Flughafen treffe ich Charles, einen Freund von Walter, der mich netterweise um 4 Uhr morgens von Entebbe nach Kampala fährt – also noch einmal eine kurze Stunde Autofahrt, Kennen lernen und Gespräch über Wetter, Familie und Beruf, vorbei am gewaltigen, in der Dunkelheit liegenden Viktoriasee, bis zum Ziel und etwas Schlaf.
Am ersten Morgen, nach kurzer Nacht, treffe ich Walter. Zuletzt planten wir gemeinsam vor etwa zwei Monaten in Düsseldorf das neue INTERKULTURA-Projekt. Nun, nach einer ersten Förderzusage, sitzen wir gemeinsam in Kampala, um die kommenden Wochen und den Start des Projektes mit unserem Projektpartner MLISADA vorzubereiten. Die gemeinsame Arbeit vor Ort, die Zeit mit dem Projektpartner, die Gespräche und Begegnungen, der Austausch sind von unschätzbarem Wert sowohl und insbesondere für die Entwicklung, Ausarbeitung und erfolgreiche Realisierung eines partnerschaftlichen Projektes als auch und insbesondere persönlich.
Noch kenne ich Bosco und David nicht persönlich. Sie gehören zu den Köpfen von MLISADA. Walter hat bislang immer sehr begeistert über die Menschen und die Organisation berichtet und auch mich damit angesteckt. Wir treffen uns das erste Mal in einem äthiopischen Restaurant in Kampala. Walter und ich sind zur verabredeten Zeit dort, die Kollegen lassen noch etwas auf sich warten, kommen aber bald dazu. Es ist eine sehr herzliche, offene Begegnung. Wir sprechen über unsere Erfahrungen, Begegnungen und unsere Ideen über das Projekt, das wir in wenigen Tagen in partnerschaftlicher Kooperation beginnen möchten. Und wir essen gemeinsam dabei. Beeindruckt voneinander, inspiriert und mit einem gemeinsamen Plan für dir kommenden Tage gehen wir nach fast zwei Stunden des Zusammenseins auseinander, mit einer positiven, motivierenden und hoffnungsvollen Perspektive.
Bosco und David beeindrucken mich bei jedem unserer Treffen während meiner Zeit in Uganda sehr. Es ist ihr aufrichtiges Interesse sowie ihre Freude und Begeisterung für die Sache, die wir zu unserer gemacht haben. Alleine das habe ich derart nur selten erlebt, hinzu, und eng mit ihrer Hingabe verbunden, tritt ihre unschätzbare, mich ebenso beeindruckende Kompetenz. All das macht sie zu mich tief beeindruckend authentischen Menschen.
An diesem Morgen mache ich mich mit einem Boda Boda, ein Motoradtaxi, auf zum Zentrum von MLISADA. Es ist mein zweiter Tag und noch ist in mir ein Gefühl von Unsicherheit und Spannung. Letztlich und nach einem kurzen, zufälligen Wiedertreffen mit Charles, komme ich zur verabredeten Zeit an. – Alle anderen sind noch nicht da. Ich sehe mich derweil im Zentrum um, lerne Kids sowie Mitarbeiter und Freiwillige im Zentrum kennen.
Später habe ein interessantes Gespräch mit David und Godfrey – er ist Musikdirektor im Zentrum und wird in zwei Tagen heiraten. Wir reden über allerlei Dinge, versuchen, uns über einen Austausch unserer Anzischten, Ideen, Einschätzungen und Gedanken näher kennen zu lernen. Ein gemeinsames Interesse und Anliegen, das uns zudem an diesem Ort und in dieser Sache zusammenbringt, ist beispielsweise die Förderung psycho-sozialer Gesundheit. Wir wissen um die Bedeutung der Förderung dieses Bereichs, insbesondere für junge Menschen, und glauben, diese Bedeutung wird global maßlos unterschätzt, gar missachtet. Es ist diese Erfahrung, die für Bosco, David, Godfrey Motivation bei Ihrer Arbeit ist und auch mich zu diesem Projekt geführt hat.
Zu erleben, wie sehr die jungen Menschen, noch jung und am Leben doch schon schwer zu tragen, im MLISADA-Zentrum von den Angeboten profitieren. Sie erfahren hier zunächst einmal einen geschützten Raum, den sie nutzen können, um sich selbst durch beispielsweise Musik, Akrobatik, Handwerk oder Kunst ausprobieren, nahekommen, Fähigkeiten entdecken und Persönlichkeit entwickeln zu können.So können sie Vertrauen in andere Menschen und schließlich in sich selbst finden und fassen, um so mit neuen Perspektiven ihrem Leben entgegenzugehen.
Dass in diesem Bereich staatliche und zivilgesellschaftliche Institutionen wenig tun, insbesondere auch in entwicklungspartnerschaftlichen Projekten, ist nur schwer verständlich. Es klingt theatralisch, doch schmälert das keinesfalls die Bedeutung: In den Händen der Kinder liegt Zukunft. Und so werden Ugandas wie Afrikas wie Europas Kinder zu unser aller Zukunft. Bei all dem Pathos bedeutet es unweigerlich: Sie werden das Gesicht der Welt von morgen bestimmen. Ich möchte, dass es ein anderes, ein irgendwie besseres Gesicht als das der heutigen Welt ist. Auch dafür arbeiten Bosco, David, Godfrey, Walter, ich und unzählige andere Menschen bei MLISADA und INTERKULTURA.
Bosco und David nehmen mich an einem frühen, sonnig-heißen Nachmittag mit in ihr Viertel. Es ist unweit des MLISADA-Zentrums, so dass wir nicht weit gehen müssen – und augenblicklich finde ich mich inmitten eines Slum in Kampala. Zwischen Haus an Haus, engen Wegen und über offenen Rinnsalen staut sich die Mittagshitze besonders. Zudem ist der Boden feucht von Regen und Abwassern und versprüht einen erdig-fauligen Duft. Meine ersten Tage in Uganda sind die letzten Tage dieser Regenzeit. Ein heftiger Regen an diesem frühen Nachmittag durchnässt die Kleider bis auf die Haut. Ich verliere völlig die Orientierung auf unseren Wegen und Halten durch die enge Siedlung.
Bosco und David haben hier viele Jahre ihres Lebens verbracht. Und noch heute leben sie in dem Viertel, ist ihre Community einer der wichtigen Lebensmittelpunkte. Alle, denen wir begegnen, kennen die beiden. Auch nur deshalb kann ich mich hier derart bewegen. Die beiden haben es geschafft, so sehen es die Menschen hier. Ich finde, alle hier vollbringen großartiges, leben und gestalten etwas aus eigener Kraft. Doch sind Chancen und Grenzen unterschiedlich weit, in jedem Fall ungleich, ungerecht.
Bosco und David sind für alle da, ansprechbar und engagiert. Dank der Community gibt es jetzt eine Schule und ein kleines Frauenhaus im Slum. Gemeinschaft wie Familie und Selbstorganisation zählen viel an einem Ort, an dem der Staat und seine Institutionen versagen. Doch kann Überleben nicht alleine persönliche Sache sein. Es muss unübertragbare staatliche Aufgabe sein, Überleben zu sichern und so gestaltbares Leben von Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen. Das einzufordern kann Idee globaler Solidarität sein, die Zivilgesellschaft unterstützt und ihr gegenüber Staat wie Politik machtvoll beiseite steht.
Mit BRASS FOR AFRICA, eine MLISADA-Partnerorganisation aus UK, besuchen wir an diesem Tag ein Rehabilitation Center. Das Rehab-Center ist eine staatliche Institution, die sich etwa zwei Stunden fern Kampalas, in der Nähe von Mpigi findet. Hier leben zeitweise Kinder und Jugendliche, die kein Zuhause mehr haben, die in einem zerrütteten Umfeld leben mussten oder von Behörden wie der Polizei auf den Straßen der Städte aufgegriffen wurden. Es sind so viele junge Menschen an diesem Ort. – Einige Kids kommen neugierig zu unserem Bus gelaufen, gucken, wer dort aussteigt, begrüßen uns, nehmen unsere Hände. Andere betrachten aus sicherer Distanz, scheinen ängstlich, eingeschüchtert. Das Gelände ist weit, es gibt hier viele große Gebäude: Schlafsäle, sanitäre Anlagen, ein Gesundheitszentrum, Werkstätten. Es ist alles in keinem sonderlich guten Zustand und letztlich ist dies kein Ort für eine Kindheit, ja auch kein Ort für immer. Der Leiter der Einrichtung ist freundlich, aufgeschlossen, realistisch – und hofft auf bessere Zeiten.
BRASS FOR AFRICA und MLISADA kommen nun regelmäßig hierher, um mit einer Gruppe junger Menschen zu musizieren. Das erste Mal waren sie vor wenigen Wochen hier, haben einige Instrumente dort gelassen – zum Üben. Und schon heute spielen etwa 20 junge Menschen gemeinsam auf diesen Instrumenten, dass es übergroße Freude macht, zuhören zu dürfen.